Die Geschichte von Kratom – Von ritueller Pflanze zur globalen Debatte 📜
- Stefan Schmidt

- 20. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Geschichte von Kratom – Warum sie so entscheidend ist. Kratom wird heute oft kontrovers diskutiert – doch seine Wurzeln reichen weit zurück. Wie alt ist die Nutzung wirklich? Und wie wurde aus einem traditionellen Pflanzenblatt eine globale Debatte?

Die Geschichte von Kratom ist tief in der Kultur Südostasiens verwurzelt – lange bevor der Begriff überhaupt in westlichen Ländern auftauchte. In den ländlichen Regionen von Thailand, Indonesien und Malaysia wurde das Blatt der Mitragyna speciosa über Generationen hinweg gesammelt, verarbeitet und in rituelle sowie soziale Zusammenhänge eingebettet. Während moderne Debatten vor allem auf Risiken und Regulierungsfragen fokussieren, lohnt sich ein genauer Blick auf die Ursprünge dieser Pflanze – und darauf, wie sich ihr Bedeutungswandel über die Jahrhunderte vollzogen hat.
1. Botanische Einordnung: Was ist Kratom eigentlich? 🌱
Die Pflanze Mitragyna speciosa gehört zur Familie der Rötegewächse (Rubiaceae) – derselben Familie wie die Kaffeepflanze. Sie wächst wild in tropischen Gebieten Südostasiens, vor allem:
in Südthailand (besonders in den Provinzen Surat Thani & Nakhon Si Thammarat),
auf Borneo (z. B. West-Kalimantan),
auf Sumatra,
sowie im Grenzgebiet von Malaysia und Myanmar.
Kratombäume können bis zu 25 Meter hoch werden, bevorzugen feuchte, nährstoffreiche Böden und sind tief in der lokalen Biodiversität verankert. Die Blätter enthalten über 40 bekannte Alkaloide – darunter die bekannten Verbindungen Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin.
2. Erste Hinweise auf traditionelle Nutzung 🏞️
Die frühesten systematischen Beschreibungen stammen von niederländischen und britischen Kolonialbotanikern des 19. Jahrhunderts, wie etwa:
Pieter Willem Korthals (1839) – er benannte die Gattung Mitragyna aufgrund der Form der Blütenkrone.
George Darby Haviland (1859–1901) – sammelte systematisch Pflanzenproben in Malaysia.
Hans Sloane & andere Ethnobotaniker – berichteten später von der Nutzung in der Region.
Bereits damals wurde dokumentiert, dass Landarbeiter in Südthailand regelmäßig Kratomblätter kauten, um bei schwerer körperlicher Arbeit konzentriert und wach zu bleiben. Die Nutzung war also tief in Alltagsroutinen eingebettet – ähnlich wie der Gebrauch von Mate in Südamerika oder Khat auf der Arabischen Halbinsel.
3. Spirituelle & rituelle Bedeutung 🔮
Neben dem praktischen Nutzen war Kratom in bestimmten Regionen auch spirituell aufgeladen:
In manchen Dörfern wurden Kratomblätter als Opfergabe an Ahnen niedergelegt.
Schamanen nutzten sie – neben Betelnuss und anderen Pflanzen – als Teil heilender Rituale.
Die Zubereitung erfolgte oft als Sud oder Blattkugel, manchmal mit Honig und Ingwer.
Die Pflanze galt in Teilen Malaysias und Borneos als „Geschenk der Erde“, das mit Respekt verwendet werden musste – nicht zur Unterhaltung, sondern als Unterstützung im Einklang mit der Natur.
4. Medizinische Verwendung im alten Thailand 🧬
In der traditionellen Thai-Medizin (unter dem System Samunprai) wurde Kratom bei folgenden Beschwerden eingesetzt:
Durchfall und Darminfekte
Fieber und Malaria
Schmerzen und Muskelverspannungen
Müdigkeit und Konzentrationsschwäche
Wundbehandlung (Blätter als Umschläge)
Interessant: In lokalen Handbüchern aus dem frühen 20. Jahrhundert wird Kratom oft gemeinsam mit Kurkuma, Zitronengras und Tamarinde erwähnt – also als Teil eines pflanzlichen Heilansatzes, nicht als Einzelmittel.
5. Die Wende: Verbot durch die thailändische Regierung ⚖️
Jahr 1943 – Das Verbot von Kratom 📅
Im Zuge der Opiumkrise in Südostasien verbot Thailand 1943 den Anbau, Besitz und Verkauf von Kratom – mit dem offiziellen Argument, Kratom gefährde den Drogenmarkt durch Verdrängung von Opium. Inoffiziell wird vermutet, dass wirtschaftliche Interessen (staatliches Opium-Monopol) eine Rolle spielten.
In Malaysia folgte 1952 ein ähnliches Verbot 🇲🇾
Mit dem „Poison Act“ wurden auch dort Kratomprodukte reglementiert, obwohl die traditionelle Nutzung weiterlief – vor allem in Grenzregionen und ländlichen Dörfern, oft unter Duldung lokaler Behörden.

6. Kratom in der Kolonialzeit & im internationalen Drogenrecht 🌍
Während europäische Kolonialmächte andere Pflanzen wie Opium, Tabak oder Kaffee industrialisierten, blieb Kratom weitgehend unbeachtet – vielleicht gerade, weil es regional & nicht lukrativ war.
In den internationalen UN-Konventionen zu Betäubungsmitteln (1961, 1971, 1988) wurde Kratom nicht erwähnt – ein juristisches Vakuum, das bis heute besteht.
Erst mit dem Boom des Internethandels ab den 2000ern kam es zu internationalen Spannungen:
Die USA prüften mehrfach eine Einstufung als „Schedule I Substanz“.
In der EU wurden Einfuhrregeln verschärft, aber kein einheitliches Verbot erlassen.
In Ländern wie Australien und Polen wurde Kratom pauschal verboten.
7. Wiederentdeckung im Westen & neue Forschung 📈
Ab etwa 2005 stieg das Interesse an Kratom rapide:
Erste Online-Foren (z. B. Erowid, Reddit) behandelten Kratom als neue ethnobotanische Substanz.
Medienberichte wechselten zwischen Euphorie und Panikmache („Legal Highs“).
Forscher begannen, die Alkaloide systematisch zu analysieren.
Heute liegen über 200 wissenschaftliche Studien zu Mitragyna speciosa vor – darunter pharmakologische, toxikologische und sozialwissenschaftliche Untersuchungen. Die WHO hat 2021 ein kritisches Review erstellt, das zu dem Schluss kam:
„Es liegen keine ausreichenden Beweise vor, um Kratom international zu regulieren. Weitere Forschung wird empfohlen.“(WHO Expert Committee on Drug Dependence, 2021)
8. Aktuelle rechtliche Lage (Stand: 2025) 🧭
Land/Region | Status |
Thailand | Seit 2021 legal (Anbau erlaubt) |
Indonesien | Export möglich, evtl. Verbot ab 2025 |
Deutschland | Nicht gelistet, Beobachtung durch BfArM |
Österreich | Kein Verbot, aber keine Einnahmehinweise erlaubt |
Schweiz | Import legal, kein medizinischer Gebrauch |
USA | Legal, aber stark umstritten (je nach Bundesstaat) |
In Europa bleibt Kratom rechtlich eine Grauzone. Shops dürfen es verkaufen – solange kein Konsumbezug hergestellt wird (z. B. als „Räucherware“ oder „Botanisches Forschungsprodukt“).
9. Zwischen Aufklärung, Verbot & Verantwortung 📢
Der Diskurs rund um Kratom ist oft geprägt von:
🔴 Medienhysterie („Kratom – die neue Droge!“)
🟢 Verharmlosung („natürlich = ungefährlich“)
⚖️ differenzierter Aufklärung (z. B. durch NGOs, Forscher oder Anbieter mit Ethikfokus)
Wichtiger wäre ein nüchterner Blick:
Kratom ist keine Alltagsdroge wie Alkohol oder Kaffee
Aber auch keine gefährliche Substanz per se
Sondern eine Pflanze mit tiefem kulturellen und pharmakologischen Hintergrund
10. Rückkehr zu den Wurzeln: Nachhaltigkeit & Ethik 🌿
In Regionen wie Jongkong Hulu (West-Kalimantan) formieren sich Kooperativen, die Kratom ökologisch & fair kultivieren:
Keine Pestizide
Ernte per Hand
Trocknung unter kontrollierten Bedingungen
Transparente Lieferketten
Diese „neue Bewegung“ setzt auf Respekt vor der Pflanze und ihren Ursprüngen – und nicht auf maximalen Profit. Auch in Europa fordern viele Konsumenten & Händler ein Umdenken: weg vom Billigimport – hin zu Qualität, Verantwortung & Bildung.
Quellenangabe 📚
Cinosi E. et al. (2015): Following "the roots" of Kratom. Frontiers in Psychiatry
Shellard, E. (1974): The alkaloids of Mitragyna with special reference to those of Mitragyna speciosa
WHO Review (2021): Critical Review Report: Mitragyna speciosa (Kratom)
UNODC (2011): The Global SMART Programme – Kratom Profile
Takayama, H. (2004): Chemistry and pharmacology of analgesic indole alkaloids from the Rubiaceae plant Mitragyna speciosa
National Institute on Drug Abuse (USA), 2023: Kratom DrugFacts









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