Kratom in der Wissenschaft – Was Studien bisher zeigen (und wo Lücken sind) 🔬
- Stefan Schmidt

- 15. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Juli
Kratom ist eine Pflanze mit langer Anwendungstradition – aber wissenschaftlich gesehen noch immer ein relativ unbeschriebenes Blatt. Während in Ländern wie Indonesien oder Thailand Erfahrungswissen seit Jahrhunderten existiert, beginnt die moderne Forschung erst langsam, die chemischen, pharmakologischen und gesellschaftlichen Dimensionen dieser Pflanze zu untersuchen. In diesem Beitrag werfen wir einen nüchternen Blick auf den aktuellen Stand der Kratomforschung.

🧬 1. Was steckt chemisch im Kratom?
Kratom enthält eine komplexe Mischung aus über 40 Alkaloiden, darunter:
Alkaloid | Wirkung / Relevanz |
Mitragynin | Hauptalkaloid, wirkt auf μ-Opioidrezeptoren |
7-Hydroxymitragynin | Potenter, schmerzstillend, stärker wirksam |
Paynanthein | Muskelentspannend, weniger erforscht |
Speciogynin | Möglicherweise beruhigend |
Ajmalicin | Gefäßerweiternd (wie in der Schlangenwurzel) |
Die Konzentration variiert je nach:
Sorte (Red, Green, White)
Herkunftsregion
Trocknung & Fermentation
Hinweis: Diese Stoffe wirken nicht isoliert, sondern in Kombination – was die Wirkung komplex und individuell macht.
🧪 2. Was weiß die Forschung über die Wirkung auf den Menschen?
Bestätigt durch Labor- und Tierversuche:
Mitragynin bindet an Opioidrezeptoren, allerdings mit geringerem Atemdepressionsrisiko als klassische Opiate
Kratom kann in bestimmten Dosen analgetisch, antriebssteigernd oder sedierend wirken – abhängig von Dosis, Sorte und Person
7-HMG ist im Kratom nur in Spuren enthalten, aber stark wirksam
Einige Alkaloide wirken auch auf Serotonin- und Dopaminrezeptoren
Unklar oder noch nicht ausreichend untersucht:
Langzeitwirkung auf Gehirn, Leber, Herz-Kreislauf-System
Wechselwirkungen mit Medikamenten
psychische Abhängigkeitspotenziale (physisch vs. psychisch)
Wirkung bei Jugendlichen, Älteren oder Schwangeren
📉 3. Was sind die potenziellen Risiken laut Studien?
Laut medizinischer Fachliteratur (u. a. FDA, WHO, EMCDDA):
Risiko | Bewertung |
Abhängigkeitspotenzial | gering-mittel (v. a. bei Hochdosen & täglichem Konsum) |
Lebertoxizität | Einzelfälle berichtet, aber unklarer Zusammenhang |
Wechselwirkungen mit Medikamenten | möglich, v. a. mit Beruhigungsmitteln oder Alkohol |
Entzugssymptome | milder als bei Opiaten, aber vorhanden |
Verunreinigte Produkte | inoffizieller Markt oft unsicher |
⚠️ Besonders problematisch:
Kratom-Extrakte mit extrem hohen 7-HMG-Werten
Mischprodukte (z. B. mit Benzodiazepinen oder Dextromethorphan)
Unkontrollierter Langzeitgebrauch bei Vorerkrankungen
📚 4. Wo steht die Forschung international?
Region | Forschungsstand |
USA | mehrere Studien zur Wirkung & Abhängigkeit; v. a. Florida, Utah, Columbia University |
Thailand | intensive Forschung nach Legalisierung 2021 |
Malaysia | Studien zur Bevölkerung & traditionellen Nutzung |
EU / Deutschland | kaum staatlich geförderte Studien; einzelne Arbeiten an Unis in Graz, Berlin, Wien |
Indonesien | kaum publizierte Forschung, aber großes Erfahrungswissen |
Die WHO hat 2021 eine umfassende Bewertung vorgenommen und kam zum Ergebnis:
„Kratom weist kein signifikantes Risiko für internationalen Missbrauch auf und sollte nicht international kontrolliert werden.“(→ WHO Critical Review Report 2021)
🔍 5. Die Forschungslage in Europa – eine Leerstelle
Trotz wachsendem Interesse gibt es in Europa:
keine großen klinischen Studien
keine offizielle Zulassung
wenig Fördergelder für Erforschung ethnobotanischer Pflanzen
Gründe dafür:
rechtliche Unsicherheit
fehlender industrieller Anreiz (kein Patent möglich)
Stigmatisierung durch mediale Gleichsetzung mit „Legal Highs“
Einige Wissenschaftler:innen fordern deshalb:
Mehr Freiraum für objektive Forschung, statt vorschneller Verbotsdiskussion.
🧭 6. Was die Forschung (noch) nicht beantworten kann
Trotz wachsender Datenbasis bleiben viele Fragen offen:
Offene Frage | Warum unklar? |
Wie sicher ist Kratom bei Langzeitanwendung? | Keine kontrollierten Langzeitstudien |
Ist Mitragynin therapeutisch nutzbar? | Kein zugelassenes Medikament |
Welche Rolle spielen Nebenalkaloide? | Kaum isoliert untersucht |
Wie unterscheiden sich verschiedene Sorten chemisch? | Keine EU-Normen, keine Standardisierung |
Forschung braucht hier:
mehr fundierte Ethnobotanik
Kooperation mit traditionellen Anbaugebieten
rechtlich sicheren Rahmen für Studien am Menschen
🧘♂️ 7. Ethnobotanische Forschung – das fehlende Bindeglied
Die meisten wissenschaftlichen Studien fokussieren auf:
isolierte Alkaloide
mögliche Schäden
Suchtpotenzial
Was oft fehlt:
das kulturelle Verständnis für Anwendung, Dosis, Anlass, Kombination
die Perspektive der Nutzer:innen in traditionellen Kontexten
die Wirkung im Alltag statt im Labor
Ein umfassendes Bild entsteht nur, wenn moderne Pharmakologie & traditionelle Erfahrung zusammengebracht werden.
⚠️ Rechtlicher Hinweis
Dieser Artikel dient ausschließlich der wissenschaftsjournalistischen Aufklärung.Kratom ist in der Europäischen Union nicht als Arznei, Nahrung oder Ergänzung zugelassen.Die dargestellten Informationen beruhen auf veröffentlichten Studien, WHO-Analysen und Erfahrungsberichtenaus Ländern mit legaler Nutzung.
📚 Quellen & wissenschaftliche Literatur
Cinosi, E. et al. (2015). Kratom (Mitragyna speciosa): Chemistry, pharmacology, and toxicology.→ PubMed Link
Grundmann, O. (2017). Survey of Kratom Users: Patterns and Health Impact.→ [Drug and Alcohol Dependence]
World Health Organization (2021). Critical Review Report on Kratom.→ [https://www.who.int/publications/i/item/kratom-2021]
EMCDDA (2022). Kratom Topic Overview – Trends and Health Risks.→ [https://www.emcdda.europa.eu]
Boyer, E.W. et al. (2007). Self-treatment of opioid withdrawal with a botanical product.→ [Addiction Journal]
Erowid Kratom Vault – Sammlung nutzerbasierter Berichte→ [https://www.erowid.org/plants/kratom/kratom.shtml]









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